, Fabio Baranzini

«Trainingsfreie Tage gibt es eigentlich nicht»: Wie Nora Gmür dem Triathlon alles unterordnet und wie sie ihr erstes Jahr in Leeds erlebt hat

Triathletin Nora Gmür (22) lebt seit einem Jahr in Leeds, da sie dort optimale Trainingsbedingungen vorfindet. Im Interview gibt sie Einblicke in ihren Trainingsalltag und erzählt, wie sie ihre Karriere als Profi-Triathletin organisiert und finanziert.

Nora Gmür, Sie leben und trainieren seit April 2023 im englischen Leeds. Wie haben Sie sich eingelebt?

Sehr gut. Es gefällt mir sehr hier. Es war schon immer ein Traum von mir, einmal länger im Ausland zu leben und eine neue Kultur kennenzulernen. Das kann ich jetzt machen und dazu erst noch mein Englisch verbessern. Trotzdem sind Sie ja nicht wegen der Sprache und der Kultur nach England gezogen, sondern wegen des Sports.

Was waren die Gründe, die Sie zu einem Wechsel des Wohn- und Trainingsstandorts gebracht haben?

In der Schweiz habe ich die Schwimmtrainings jeweils in Aarau beim SC Aarefisch absolviert. Die Laufeinheiten und die Trainings auf dem Velo dagegen stets individuell für mich allein. Das hat ganz ordentlich funktioniert, aber ich hätte mir gewünscht, dass ich alle meine Trainings kompakt am selben Ort absolvieren kann und idealerweise auch in einer Gruppe mit anderen Triathleten.

Wie sind Sie auf den Standort Leeds gekommen?

Über meinen früheren Trainer, der Schotte ist, kam der Kontakt nach Leeds zu Stande. Ich habe dort dann ein paar Trainingslager absolviert und es hat mir von Anfang an sehr gut gefallen. Diese einmalige Chance in einem solchen Umfeld rund um Topathletinnen zu trainieren, musste ich wahrnehmen. Zudem war es für mich ein Ausbruch aus der Komfortzone, um mich auch auf der persönlichen Ebene weiterzuentwickeln.

Wie sieht Ihr Trainingsalltag in Leeds aus?

Ich habe fünf Schwimmtrainings pro Woche, die jeweils um 8 Uhr morgens stattfinden. Zwei davon sind sogenannte Schlüsseleinheiten, wo nicht einfach nur Ausdauer trainiert wird, sondern intensive Intervalleinheiten. Zusätzlich habe ich sechs Laufeinheiten, wovon auch wieder deren zwei sehr intensiv sind. Dasselbe Spiel beim Radfahren. Auch hier habe ich fünf Trainings und zwei davon sind Intervalleinheiten. Zusätzlich absolviere ich noch zwei Krafteinheiten pro Woche. Das sind 18 Trainingseinheiten. Selbst wenn Sie zwei Mal pro Tag trainieren, reicht das noch nicht. Ja, das stimmt. Ich trainiere sieben Tage die Woche zwei bis drei Mal. Und was ist mit Ruhetagen? Wir haben zwei Erholungstage: Montag und Freitag. Dort stehen nur zwei lockere Trainings auf dem Programm.

Keine freien Tage?

Nein, trainingsfreie Tage gibt es eigentlich nicht. Ich achte darauf, dass ich stets gesund esse und viel schlafe. Zudem gehe ich einmal pro Woche in die Massage. So kann ich mich gut erholen. Haben Sie in der Schweiz auch schon so hart trainiert? Nein, seit ich in Leeds bin, trainiere ich deutlich mehr als früher. Vor allem im Ausdauerbereich sind die Trainingsumfänge viel grösser geworden. Und ich habe hier einen viel strukturierteren Trainingsplan und trainiere immer in der Gruppe. Das ist sicherlich ein Vorteil, gerade bei den Intervalltrainings.

Wer gehört denn zu Ihrer Trainingsgruppe?

Ich trainiere in der Gruppe der beiden sehr erfolgreichen, britischen Triathleten Alistair und Jonathan Brownlee. Ebenfalls mit dabei ist die aktuelle Frauenweltmeisterin Beth Potter aus Schottland. Ich habe also in fast jedem Training den direkten Vergleich zur absoluten Weltspitze. Das ist natürlich auch ein grosser Vorteil im Vergleich zur Schweiz.

Und wo stehen Sie im Vergleich zu Beth Potter?

Mittlerweile kann ich die eine oder andere Intervalleinheit gemeinsam mit ihr absolvieren und mithalten. Das war am Anfang noch nicht so. Ich komme ihr also Schritt für Schritt näher. In den langen Ausdauertrainings kann ich gut mithalten, aber in den Intervallen ist sie noch stärker.

Wenn Sie ein Fazit ziehen nach ihrem ersten Jahr – hat sich der Wechsel nach Leeds gelohnt?

Ja, auf jeden Fall. Die Trainings machen mega Spass und ich bin praktisch jeden Tag motiviert für die Einheiten. Es braucht sicherlich noch etwas Zeit, bis sich der Wechsel auch in den Resultaten widerspiegelt, aber mir gefällt es hier sehr, sehr gut.

Wie planen Sie Ihre Wettkämpfe?

Das mache ich jeweils vor der Saison gemeinsam mit meinem Trainer. Wir bestimmen dabei als erstes die Highlights, schauen dann dass wir vor jedem Highlight ein paar Vorbereitungswettkämpfe haben und dazwischen Trainingsblöcke einbauen. Im letzten Jahr habe ich beispielsweise insgesamt an 13 Wettkämpfen teilgenommen. Die meisten davon in Europa, aber ich war auch in Marokko und Brasilien am Start.

Die Reisen und Unterkünfte organisieren Sie jeweils selbst?

Ja, bei ungefähr der Hälfte der Rennen organisiere ich das selbst. Der Schweizer Triathlon Verband übernimmt die Organisation der Reisen und die Kosten, wenn ich an den World Cup Series Wettkämpfen oder an internationalen Titelkämpfen wie der EM oder der WM teilnehme. Alle anderen Wettkämpfe muss ich selbst organisieren und auch selbst bezahlen. Genauso wie auch die Trainings und das Material.

Wie viel kostet Sie eine Saison als Triathlon-Profi?

Mit Kosten für die Trainings, Trainingslager, Reisen, Hotels und Material wohl etwa 50’000 bis 60’000 Franken. Wobei der grösste Kostenpunkt die Reisen und mein WG-Zimmer in Leeds sind.

Wie finanzieren Sie Ihre Profikarriere?

Die grössten Einnahmen bekomme ich von der Sporthilfe, von der Armee, wo ich die Spitzensport RS absolviert habe, und über meine Sponsoren, die ich gemeinsam mit meiner Familie suche und betreue. Ein ganz kleiner Teil kommt auch noch über das Preisgeld dazu, aber das alleine würde niemals reichen.

Wir befinden uns in einem Olympia-Jahr. Welches sind Ihre Ziele, die Sie sich gesteckt haben für die laufende Saison?

Mein Traumziel sind weiterhin die Olympischen Spiele in Paris. Allerdings wird es sehr schwierig für mich. Ich müsste in den World Cup Serie Rennen zwei Mal in die Top 8 laufen. Bislang ist ein 26. Rang mein bestes Resultat. Sollte es mit Paris nicht klappen, wäre das aber kein Weltuntergang. Ich bin ja dann erst 23 Jahre alt. Zudem stehen nächstes Jahr meine letzten U23 EM- und WM-Rennen an, wo ich um die Medaillen mitkämpfen möchte.